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Erste Schritte als pflegender Angehöriger

Erstellt am 09.04.2024 | Marius Damrow
Geschätzte Lesedauer: 7 Minuten

Der Großteil pflegebedürftiger Personen in Deutschland wird zu Hause gepflegt und erhält dabei viel Unterstützung von Angehörigen, auch dann wenn zusätzlich ein ambulanter Pflegedienst engagiert ist. Pflege ist komplex und belastend: Zu Beginn ist es schwierig, den Überblick über alle Informationen zu behalten und die Pflege richtig zu organisieren. Hat man den Anfang geschafft, steht man vor der Herausforderung, die Pflege auf Dauer aufrecht zu erhalten ohne die eigene körperliche und geistige Gesundheit als Pflegeperson zu gefährden. Hier finden Sie wertvolle Hinweise, wie Sie als pflegender Angehöriger mit einer neu aufkommenden Pflegesituation umgehen können.

Ein Seniorenpaar sitzt gemeinsam mit einer Pflegeberaterin an einem Tisch. Die Beraterin erklärt etwas anhand von Formularen auf einem Klemmbrett.
Foto von Ridofranz auf istockphoto.com

Die Form der Pflege vereinbaren

Wird eine Person aus Ihrem Umkreis pflegebedürftig, sei es plötzlich etwa durch einen Schlaganfall oder nach einer sich anbahnenden Verschlechterung der Gesundheit durch eine vorhandene Krankheit, kommen meist nahe Angehörige als Pflegeperson in Frage. In den meisten Fällen sind das erwachsene Kinder oder Lebenspartner von Pflegebedürftigen, es besteht aber keine Notwendigkeit zur Verwandtschaft. Auch Freunde, Bekannte oder Nachbarn können pflegende Angehörige sein.

Die Grundvoraussetzung ist, dass Sie sich um eine Person kümmern, die einen anerkannten Pflegegrad hat und Pflegeleistungen erhält. Den Antrag auf einen Pflegegrad kann nur der Pflegebedürftige selbst stellen. Angehörige können diese Aufgabe nur übernehmen, wenn sie eine entsprechende Vollmacht erhalten haben. Auch wenn das nicht der Fall ist, kommt hier schon die erste Aufgabe auf Sie zu: Dem Pflegebedürftigen bei der Antragstellung helfen. Dabei muss bereits angegeben werden, auf welche Art und Weise die Pflege stattfinden soll. Folgende Möglichkeiten stehen zur Verfügung:

  • Pflege durch Privatperson/Pflegegeld: Die Pflege erfolgt ehrenamtlich durch Privatpersonen, meist Familienangehörige. Der Pflegebedürftige erhält nur Pflegegeld.
  • Pflege durch einen ambulanten Pflegedienst/Pflegesachleistungen: Eine professionelle Pflegekraft pflegt den Betroffenen zu Hause bei regelmäßigen Besuchen. Die Pflegekasse unterstützt Pflegebedürftige, indem sie in Form von Pflegesachleistungen einen bestimmten monatlichen Betrag an den Pflegedienst zahlt.

  • Pflege als Kombinationsleistung der vorherigen Punkte: Die Pflege erfolgt durch einen ambulanten Pflegedienst und durch Privatpersonen. Der Pflegebedürftige erhält nach individuell festgelegter prozentualer Gewichtung Pflegesachleistungen und Pflegegeld.

  • Teilstationäre Pflege: Der Pflegebedürftige lebt zu Hause, wird aber tagsüber oder nachts für eine vereinbarte Zeitspanne in einer teilstationären Einrichtung betreut. Diese Form der Pflege verknüpft Vorteile der ambulanten und vollstationären Pflege.

  • Vollstationäre Pflege: Der Pflegebedürftige zieht in eine Pflegeeinrichtung und wird dort vollständig versorgt.

Detaillierte Informationen und Hilfe zur Antragstellung erhalten Sie in unserer Ausfüllhilfe.

Der wohl wichtigste Tipp für den Anfang ist: Reden Sie offen über alles. Schon bei der Form der Pflege ist entscheidend, dass alle Beteiligten mit den Planungen einverstanden sind. Wenn der Pflegebedürftige nur Pflegegeld beantragt, also nur von einem Angehörigen zu Hause gepflegt werden möchte, muss auch ein Angehöriger dafür bereit sein. Noch bevor der Antrag abgeschickt wird, müssen Sie sich als Pflegeperson sicher sein, dass Sie die Aufgaben übernehmen wollen und können.

Sind Sie bereit für die Pflege?

Man kann sich wohl kaum vorstellen, wie es wirklich ist, einen Angehörigen zu pflegen. Selbst wenn Sie sich informiert haben, ist jeder Pflegeverlauf individuell und es werden Probleme auftreten, mit denen Sie nicht gerechnet haben. Bevor also der Antrag gestellt wird, sollten Sie sich folgende Fragen stellen und ehrlich beantworten, um eine Entscheidung zum Wohl aller Beteiligten zu treffen:

  • Fühlen Sie sich körperlich und psychisch gesund für eine derartige Belastung?

  • Können Sie genügend Zeit in die Pflege investieren, um die Pflegequalität sicherzustellen?

  • Wie hoch wird der Pflegeaufwand pro Tag sein? Ist der Pflegezustand dauerhaft oder nur temporär?

  • Sind Sie bereit, den Pflegebedürftigen in der Intimpflege zu unterstützen oder benötigen Sie Hilfe von einem Pflegedienst?

  • Kann die Pflege in der Wohnung des Pflegebedürftigen oder Ihrer eigenen stattfinden? Müssen eventuell bauliche Veränderungen vorgenommen werden? Informationen zu Umbauten und Zuschüssen finden Sie hier.

Wenn Sie sich dafür entscheiden, einen Angehörigen zu pflegen, sollten Sie sich Wissen über Pflegetätigkeiten aneignen. Damit vermeiden Sie gesundheitliche Bedrohungen und Schäden sowohl bei den Pflegebedürftigen als auch bei Ihnen selbst. Eines der häufigsten Leiden von Pflegepersonen sind beispielsweise Rückenschmerzen, die durch fehlerhaftes Tragen oder Stützen beim Gehen des Pflegebedürftigen entstehen. Besuchen Sie möglichst Pflegekurse, denn hier werden Sie rundum auf die Pflegetätigkeiten vorbereitet.

Vor dem Gutachten: die ersten Tage der Pflege

Mit der Antragstellung ist die erste Hürde geschafft. Doch das war nur ein kleiner Teil, direkt im Anschluss folgt eine extreme Belastungsphase, über die kaum Informationen verbreitet werden: Die Pflege bis zum Gutachtertermin und bis zur Bewilligung des Pflegegrades. Nach der Antragstellung hat die Pflegekasse 20 Arbeitstage Zeit, um einen Gutachter des Medizinischen Dienstes (MD) zu schicken. Für privatversicherte Pflegebedürftige ist MEDICPROOF zuständig. Der Gutachter schätzt die Situation vor Ort ein und gibt der Pflegekasse seine Einschätzung zur Höhe des Pflegegrades. Um diesen zu bewilligen hat die Pflegekasse insgesamt 25 Tage nach Eingang des Antrags Zeit.

Während der Antrag bearbeitet wird, müssen Pflegebedürftige und Angehörige die Pflege zunächst eigenständig planen und durchführen. Diese plötzliche Belastung zu Beginn der Pflege ist bei vielen Betroffenen eine Zeit der Krise, in der sie sich erstmal orientieren und vieles gleichzeitig bedenken müssen. Dazu gehören organisatorische Aspekte wie eine mögliche Freistellung von der Arbeit im Rahmen der Pflegezeit oder Familienpflegezeit, den Erhalt von Pflegeunterstützungsgeld aber auch Überwindung von möglichen Schamgefühlen bei Pflegetätigkeiten, besonders in der Intimpflege. Schamgefühle können Pflegepersonen als auch Pflegebedürftige belasten und es dauert oft, bis sich beide Parteien an die neue Situation gewöhnt haben. Auch hier hilft es, offen darüber zu sprechen und bei aller Schwierigkeit zu versuchen, einfühlsam mit dem Pflegebedürftigen umzugehen. Bei organisatorischen Fragen können Sie sich zur Beratung beispielsweise an Pflegestützpunkte wenden. Bei der Pflegekasse können Sie erfragen, wo sich die nächstgelegenen Standorte befinden.

Es ist auch möglich, sich während dieser Wartezeit einen ambulanten Pflegedienst zu wenden, damit eine professionelle Pflegekraft Sie unterstützt. Diese Leistung muss zunächst auf eigene Kosten gezahlt werden. Je nach Höhe des Pflegegrades, der künftig bewilligt wird, und ob Sie Pflegesachleistungen beantragt haben, erhalten Sie eine Erstattung. Die Praxis zeigt, dass die Pflegesachleistungen in den meisten Fällen nicht ausreichen, um die Pflegekosten zu decken. Sie müssen also damit rechnen, je nach vorhandener Selbstständigkeit und geistigen Fähigkeiten mit dem Pflegebedürftigen über die Finanzierung der Pflege zu sprechen.

Einschätzung des Pflegeaufwands: der Gutachtertermin

Der Gutachtertermin ist ein entscheidender Schritt in der Pflegeorganisation. Das Gutachten ermittelt vorrangig den Grad der Selbstständigkeit einer Person und stellt für die Pflegekasse die Grundlage zur Ermittlung eines Pflegegrades dar. Hier erfahren Sie, wie Sie sich am besten auf den Termin vorbereiten, wie der Termin abläuft und warum es wichtig ist, von Beginn an ein Pflegetagebuch zu führen.

Wurde ein Pflegegrad abgelehnt oder der bewilligte Pflegegrad erscheint zu niedrig, kann der Pflegebedürftige Widerspruch einlegen. Auch dabei ist es ratsam, ihm bei der Formulierung der Begründung zu helfen, da Sie als Pflegeperson mit am besten über den Alltag und die Schwierigkeiten des Betroffenen Bescheid wissen. Wie Sie bei einem Widerspruch vorgehen, lesen Sie hier.

Was sind typische Pflegetätigkeiten im Alltag?

Um Ihnen einen Überblick zu verschaffen, auf welche Tätigkeiten Sie sich einstellen müssen, bieten wir eine Liste mit häufig notwendigen Hilfen im Alltag. Natürlich ist jede Pflegesituation individuell und ein Pflegebedürftiger mit Pflegegrad 1 ist viel selbstständiger als jemand mit Pflegegrad 5. Anhand der nachfolgenden Liste bekommen Sie aber ein Gefühl dafür, wofür Sie künftig verantwortlich sein könnten, vor allem, wenn kein ambulanter Pflegedienst beauftragt wurde. Generell hilft es sich, sich alle Alltagsaufgaben ins Gedächtnis zu rufen, die man ohne großes Nachdenken erledigt. Denn genau das sind oft die Abläufe, die Pflegebedürftige Tag für Tag vor Probleme stellen. Aufgaben, die pflegende Angehörige häufig übernehmen sind:

  • Unterstützung beim Kochen und Essen/Trinken

  • Einkäufe erledigen

  • Wäsche waschen und Wohnung reinigen

  • Hilfe bei der Körperpflege (Duschen/Waschen, Rasieren, Zähneputzen, Haare kämmen)

  • Eventuell Waschen im Bett bei bettlägerigen Pflegebedürftigen

  • Hilfe bei Toilettengängen

  • Hilfe bei der Versorgung eines Stomas

  • Hilfe beim Aufsetzen/-stehen und Hinsetzen/-legen

  • Hilfe beim An- und Auskleiden

  • Bettwäsche wechseln

  • Unterstützung bei der Organisation von Terminen

  • Fahrdienste

  • Anwesenheit als Gesprächspartner

  • Beratung in Pflegethemen



Am besten vor der Überlastung: Hilfe suchen

Pflegende Angehörige opfern generell viel Zeit, um dem Pflegeaufwand gerecht zu werden. Immer wieder passiert es, dass sie dabei ihre eigene Gesundheit vernachlässigen und dauerhaft unter dem Stress leiden. Dies schadet jedoch nicht nur den Pflegepersonen, sondern auch den Pflegebedürftigen. Sie sind von der Pflegeperson abhängig. Wenn diese beispielsweise aufgrund von Schmerzen bestimmte Tätigkeiten wie die Hilfe beim Aufsetzen nicht mehr richtig ausführen kann, beeinträchtigt das auch den Alltag und die Gesundheit des Pflegebedürftigen. Spätestens bei Warnsignalen wie häufigen Infekten, Kopfschmerzen und dauerhaften Verspannungen oder etwa ständiger Gereiztheit und Ungeduld sollten Sie sich Hilfe suchen.

Was genau Ihnen helfen wird, hängt natürlich von Ihrer Situation ab. Haben Sie zum Beispiel bisher allein die Pflege übernommen, kann es helfen, sich die Aufgaben mit einem anderen Angehörigen zu teilen oder nachträglich doch einen ambulanten Pflegedienst zu engagieren. Manchmal reichen aber auch kleine Unterstützungen wie eine Einkaufs- oder Haushaltshilfe oder ein klärendes Gespräch mit dem Pflegebedürftigen, dass Sie ein wenig mehr Zeit für sich selbst benötigen und Sie deshalb gemeinsam die Pflege etwas umorganisieren müssen.

Hilfreich sind für viele auch Urlaube, um aus den Alltagsabläufen eine Zeit lang zu entfliehen und Energie zu tanken. Im Rahmen der Kurzzeitpflege oder der Verhinderungspflege wäre während Ihrer Abwesenheit für Ihre Angehörigen gesorgt. Alternativ ist es auch möglich, gemeinsam mit dem Pflegebedürftigen in den Urlaub zu fahren. Die schöne gemeinsame Erfahrung kann ebenfalls Stress abbauen, selbst wenn Sie während des Urlaubs weiterhin pflegerisch tätig sein müssen. Auch Pflegebedürftigen kann eine Reise Auftrieb geben und ihr Leben bereichern.

Ein breites Angebot an Selbsthilfegruppen für pflegende Angehörige bietet für viele die passende Unterstützung. Ob online oder in Person: Der Austausch mit Menschen in ähnlichen Lebenslagen hat viele Vorteile, er kann Ängste nehmen und Sie können von den Erfahrungen anderer profitieren.

Sie suchen nach weiteren Finanzierungsmöglichkeiten? Hier finden Sie Wege:

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